TEIL 2:
E
RFAHRUNGEN & NEUE ERKENNTNISSE

Von Michael Mrutzek und Jörg Kokott

Der in der Januarausgabe dieses Magazins veröffentlichte Bericht über die Dosierung von Ethanol als Kohlenstoffquelle zur Förderung der Denitrifikation und des Wachstums heterotropher Bakterien hat in der Deutschen Riffaquaristik großen Anklang gefunden. Viele Aquarianer haben diese neue Methode der direkten Dosierung von Wodka ins Aquarium adaptiert und dabei viele Erfahrungen gesammelt, die dank des engen Erfahrungsaustausches u.a. im Internet rasch diskutiert und ausgewertet wurden.

In diesem zweiten Teil sollen die teils gegensätzlichen Erfahrungen publiziert und in das bestehende Wissen über diese Methode eingearbeitet werden. In den letzten Monaten seit der Publikation trugen diese Erfahrungen von Aquarianern dazu bei, dass sich die Vor- und Nachteile, sowie die Anwendbarkeit der Methode stark herauskristallisiert haben.

Zunächst möchten wir, die Autoren, uns bei all den Aquarianern bedanken, die uns ihre Erfahrungen geschildert und damit unser Wissen bereichert haben. Wir empfinden es als große Freude, dass viele engagierte Aquarianer dazu beitragen, gemeinsam eine zunächst neue Methode zu testen, zu kritisieren, und im Zuge dieser positiven Kritik weiter zu entwickeln. Im Gegensatz zu - unerwartet wenigen - negativen Vorab-Kritiken und wenig reproduzierbaren Kontraberichten, ist es dank dieser Aquarianer möglich, den vorliegenden zweiten Teil des Artikels zu verfassen.

Nach wie vor ist diese Methode nicht kommerziell (d.h. wir verdienen damit kein Geld), und kein Aquarianer hat sich mit dem Kauf der Januarausgabe dieses Magazins dazu verpflichtet, die Methode anzuwenden und zu testen. Dass eine neue Methode, die von mehreren Aquarianern an unterschiedlichen Aquariensystemen erfolgreich über einen ausreichend langen Zeitraum vor der Publikation getestet wurde, nicht in grundsätzlich jedem deutschen Aquariumhaushalt funktioniert, hat keiner von uns Autoren prophezeit.

Wie gesagt, dieser Artikel behandelt die praktischen Erfahrungen von Aquarianern, die diese Methode getestet haben. Daraus resultiert ein Lernprozess, der jeden Anwender einschließlich der Autoren betrifft. D.h., es ist an dieser Stelle notwendig, von unserer Seite darauf hinzuweisen, dass dieser Artikel von Anfang bis Ende gelesen werden muss, und zwar derart, dass auch die im Folgenden angegebenen Dosierempfehlungen richtig verstanden werden (bei einer Banküberweisung hängt man beim Geldbetrag schließlich auch nicht mehr Nullen an als nötig). Es ist durchaus sehr erfahrenen Aquarianern passiert, dass sich bei der Einstellung von Dosierautomaten, oder bei der Berechnung der für das Aquarium notwendigen Wodkadosis, Fehler eingeschlichen haben.

Dass dadurch durchaus ernsthafte Probleme entstehen können, wurde im ersten Teil des Artikels ausgiebig erläutert. Nichts desto trotz werden wir im Weiteren darüber diskutieren.

Auch soll folgendes Missverständnis aus der Welt geschafft werden: Die Ethanoldosierung im Aquarium hat nichts mit Nitratfiltern auf Ethanolbasis (Wodkafilter, oder Nitratreductor der Firma Aquamedic) zu tun, auch nichts mit der Dosierung von Vanillezucker, Honig, oder Traubenzucker. Sicherlich haben viele Aquarianer bereits Wodka, Vanillezucker, Honig oder Traubenzucker, in ihr Aquarium gegeben, mit mehr oder weniger gutem Erfolg. Allerdings wurde vor unserem Artikel in der Januarausgabe nichts Derartiges publiziert, von daher sehen wir es als gerechtfertigt an, hier von einer neuen Methode zu sprechen.

Übrigens, wer den Latka-Verlag dafür verantwortlich zeichnet, dass es bei dem einen oder anderen Aquarianer nicht funktioniert hat, der kann den bereits erprobten Weg des Leserbriefes einschlagen um dem Unmut Kund zu tun, oder – worauf bisher kurioserweise noch niemand gekommen ist – die Autoren selbst zu kontaktieren (zwecks email-kontakt: siehe www.meerwasserforum.com).

Bevor wir in das Thema weiter einsteigen, möchten wir eine Umfrage aus dem www.meerwasserforum.com und von www.korallenriff.de wiedergeben. An dieser Umfrage haben sich insgesamt 79 Aquarianer beteiligt, von denen 30 angaben, dass sie die Wodkamethode nicht angewendet haben. Von den übrigen 49 Wodka-Anwendern stimmten 40 mit positivem Urteil ab, fünf Aquarianer konnten keine Veränderungen, weder positiv noch negativ, bemerken, und 4 Beckenbetreiber stimmten ab, dass sie mit dieser Methode ausschließlich negative Erfahrungen gemacht haben. Angenommen, diese Umfrage sei repräsentativ (was wir nicht wissen), dann sind 10% negative Erfahrungen für eine neue Methode unserer Ansicht zwar nicht schlecht, dennoch möchten wir die von uns publizierte Methode nicht schön reden. Es gibt Berichte über Probleme, mit denen wir uns im Folgenden beschäftigen möchten.

Denitrifikation vs. Biomasseproduktion

Die Wodkamethode basiert auf der Tatsache, dass heterotrophe Denitrifizierer (denitrifizierende Bakterien) im anoxischen (sauerstofffreien) Milieu auf eine Kohlenstoffquelle angewiesen sind, um den Nitratstickstoff in gasförmigen Distickstoff (N2) energiebringend umwandeln zu können. Dieses theoretische Wissen ist alt und in Form von Nitratfiltern seit langem praktisch umgesetzt. Der Bericht von Dr. Schlüter im MA 3/04 bietet einen guten Überblick, wie der Nitratabbau im Aquamedic Nitratreductor funktioniert (Schlüter 2004). Dieser und alle anderen Nitratfilter funktionieren, unabhängig vom Preis-Leistungsverhalten. Allerdings ist die Handhabung von Nitratfiltern generell nicht einfach, auch wenn dies die Hersteller und Vertreiber von Nitratfiltern so propagieren. Innerhalb des Nitratfilters muss ein anoxisches Milieu entstehen, was über die Wasserdurchflussrate reguliert werden kann. Innerhalb dieses geschlossenen Reaktors entsteht ein Milieu, in dem heterotrophe Bakterien so lange Nitrat in Distickstoffgas umsetzen, bis das Nitrat vollständig verbraucht ist. Erst dann beginnen die Bakterien, dass reichlich im Wasser vorhandene Sulfat (SO42-) zu reduzieren, was anhand der Senkung des Redoxpotentials im Nitratfilter, sowie am Geruch erkennbar wird. Es entsteht giftiges Sulfit (SO2-), das ins Aquarium ausgeschwemmt wird, und hier zu einem verheerenden Fischsterben führen kann. Wie gesagt, Nitratfilter funktionieren, aber der Kontrolle des Nitratfilters muss sicherlich eben so viel Aufmerksamkeit gewidmet werden, wie dem gesamten Aquarium.

Die direkte Dosierung von Ethanol in Form von Wodka ins Aquarium hat gegenüber einem Nitratfilter einen entscheidenden Nachteil, der von Dr. Schlüter richtig erkannt wurde: Nicht das gesamte Ethanol erreicht im Aquarium die anoxischen Zonen und wird dort denitrifiziert, sondern ein Großteil wird auch im sauerstoffhaltigen (oxischen) Milieu von heterotrophen Bakterien genutzt, die nicht Nitrat in Distickstoffgas umwandeln. Der dabei entscheidende Vorteil gegenüber einem Nitratfilter ist, dass diese aeroben heterotrophen Bakterien die nun vorhandene Kohlenstoffquelle aufnehmen und verstoffwechseln, und dabei mit Wachstum und einer erhöhten Zellteilungsrate reagieren, wobei sie potentiell Nitrat und Phosphat verbrauchen. Demgegenüber ist der Phosphatentzug bei Nitratfiltern nicht nennenswert. Ein Nitratfilter tut nichts anderes, als Nitrat in Distickstoffgas umzusetzen.

Bei der Dosierung von Wodka ins Aquarium wird also sowohl die Denitrifikation, als auch die Bakterienbiomasseproduktion gefördert. Allerdings ist das Verhältnis zwischen Steigerung der Denitrifikationsrate und Biomasseproduktion abhängig vom jeweiligen Aquarium, was die zahlreichen Beobachtungen von Aquarianern mit der Wodkamethode zeigen.

Viele Aquarianer konnten beobachten, dass zunächst nur der Nitratgehalt gesenkt wurde, und der Phosphatgehalt mehr oder weniger unverändert blieb, vergleichbar mit dem Einsatz des Aquamedic Nitratreductors. Dadurch wurde in einigen Aquarien eine Stickstofflimitierung hervorgerufen, die bei Korallen i.d.R. mit stagnierendem Wachstum und schlechtem Polypenbild, in Extremfällen mit Ausbleichungserscheinungen hervorruft.

Andere Aquarianer waren glücklich bei der Beobachtung, dass sich gleichzeitig sowohl der Nitrat- als auch der Phosphatgehalt gesenkt hat, und dadurch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen wurde. Dadurch wurde ohne weitere Hilfsmittel ein nährstoffarmes Milieu erzeugt, dass von vielen Aquarianern als unabdingbar für die Optimierung der Farbigkeit in Steinkorallen angesehen wird. Es erreichten mich (J. Kokott) jedoch auch einige Hinweise, dass man mit Zeolithen „den letzten Kick aus der Farbigkeit in Steinkorallen herauskitzeln kann“. Wer gute Augen hat, kann diesen Hinweis verfolgen, sollte sich allerdings dessen bewusst sein, dass die meerwassertauglichen Clinoptilolithe Ammonium präferenziell adsorbieren, und sich dabei in Kombination mit der Wodka-Methode die Milieuzustände drastisch ändern können. Dennoch ist eine Kombination von Zeolithen mit der Wodkamethode möglich (X 2004).

Die letzte Variante beschreibt einen zügigen Phosphatentzug bei gleichzeitig unverändertem Nitratgehalt, d.h. in diesen Fällen wurde bei einer Fortsetzung der Wodkadosierung eine Phosphorlimitierung erzeugt, die im Gegensatz zu einer Stickstofflimitierung weitaus schlimmere Folgen haben kann. Eine Phosphorlimitierung führt insbesondere bei Steinkorallen zu einem raschen Ausbleichen. In der Regel stirbt das Gewebe ab, wobei das Polypenbild im noch gesunden Gewebe recht gut ist. Darüber hinaus werden phosphorlimitierte kleinpolypige Steinkorallen photosensitiv, d.h. sie sind in ihren Abwehrmechanismen gegen Strahlungsstress eingeschränkt, und nicht selten wird über „verbrannte Spitzen“ bei Phosphorlimitierungen berichtet.

Stickstoff- und Phosphorlimitierungen sind in Aquarien – unabhängig von den eingesetzten Filtersystemen – nicht selten. Durch einen zu starken Einsatz von phosphatbindenden Mitteln (Phosphatadsorbern) werden Phosphorlimitierungen erzeugt, in Aquariensystemen, die z.B. einen hohen Bodengrund mit starken Nitratabbauleistungen (z.B. DSB, Jaubert oder Miracle Mud Systeme), sind Stickstofflimitierungen nicht selten.

 

Die Frage, die sich viele Aquarianer stellen, ist, weshalb Riffaquarien so unterschiedlich auf die Wodkadosierung reagieren. Dieses Thema ist sehr komplex, und nur ansatzweise zu klären. Der einfachste Ansatz beleuchtet die Bakterienzusammensetzung im Aquarium. Prinzipiell sind in einem eingefahrenen Riffaquarium alle Beläge mit Bakterien besiedelt, also sowohl die Dekoration (Steine, Bodengrund), die eingesetzten Filtermaterialien, die Scheiben und die Rohre. Auf diesen Siedlungsflächen befinden sich Bakterien. Eine Vielzahl dieser Bakterien ist heterotroph, unabhängig davon, ob sie in einem oxischen oder anoxischen Milieu leben. Wie Dr. Schlüter richtig bemerkt, sind die meisten Bakterien fakultativ anaerob (Schlüter 2004), d.h. sie können sowohl mit, als auch ohne Sauerstoff leben, wobei sie ihren Stoffwechsel zügig von dem einen, auf den anderen Weg umstellen können. Neben den heterotrophen Bakterien finden sich auch autotrophe Bakterien in allen Riffaquariensystemen, allen voran die als Nitrifizierer bezeichneten Bakterien, die Ammonium über Nitrit in Nitrat umwandeln (siehe dazu Kokott 2004), und dabei verhindern, dass sich giftiges Nitrit im Wasser anreichert.

Bei der Beantwortung der Frage, weshalb sich Aquarien bei der Wodkadosierung so unterschiedlich verhalten, muss unserer Ansicht nach das Verhältnis zwischen autotrophen und heterotrophen Bakterien betrachtet werden. Es sei schon hier angemerkt, dass wir als Hobbyaquarianer keine Möglichkeit haben, die Bakterienzusammensetzung in unseren Aquarien zu messen, d.h. die nachfolgenden Ausführen sind sehr spekulativ. Dennoch möchten wir hierauf etwas näher eingehen, und einige Fallbeispiele anbieten.