Fallbeispiel 1: Schneller Nitrat-, langsamer Phosphatentzug

Die autotrophen Bakterien sind generell nicht von einer Kohlenstoffquelle wie Ethanol oder Acetat abhängig, d.h. sie werden von der Wodkadosierung nicht maßgeblich beeinflusst. Wenn die autotrophen Bakterien im Aquarium überwiegen, und sich z.B. die heterotrophen Bakterien hauptsächlich in den anoxischen Zonen der Lebenden Steine und des Bodengrundes befinden, dann wird die Biomasseproduktion durch die Ethanolfütterung nicht stark sein. Hier gelangt dann das Ethanol über Diffusion, bzw. durch den strömungsabhängigen Wassereintrag in den Bodengrund zu den heterotrophen Bakterien. Letztere können das Ethanol nutzen, um Nitrat im anoxischen Milieu zu denitrifizieren, so dass hier der Nitratabbau in Aquarien zügig erfolgt. Aufgrund des geringen Energieumsatzes im anaeroben Stoffwechsel (siehe Schlüter 2004), bleibt eine starke Vermehrung der heterotrophen Bakterien jedoch wahrscheinlich aus, so dass sich der Phosphatgehalt nicht maßgeblich verändert. Daraus kann sich der geschilderte erste Fall ergeben, nämlich ein schneller Nitrat, aber langsamer Phosphatentzug.

Fallbeispiel 3: Schneller Phosphat-, langsamer Nitratentzug

Dieser Fall erscheint zunächst widersprüchlich, denn ein Phosphatentzug geht i.d.R. mit dem Wachstum von Biofilmen einher, bei dem jedoch auch Nitrat verbraucht wird (vgl. Fallbeispiel 2). Phosphor ist ein wesentlicher Bestandteil von Zellmembranen und den Trägern der Erbsubstanz (DNA, RNA), d.h. wenn sich ein Bakterium teil, muss sowohl neues Membranmaterial produziert, als auch die Erbsubstanz kopiert und neu hergestellt werden. Im Gegensatz zu wachsenden Organismen ist der Phosphorgehalt in den lebenden Zellen mehr oder weniger konstant, d.h. nicht wachsende Organismen geben in der Nettobilanz genau so viel Phosphor an ihre Umgebung ab, wie sie Phosphor wieder aus der Umgebung neu aufnehmen. Wenn also Phosphat aus dem Wasser entzogen wird, würde dies bedeuten, dass die Bakterien sich vermehren und damit Bakterienbiomasse aufbauen. Allerdings müsste dabei auch Stickstoff, z.B. als Nitrat, verbraucht werden. Anhand der gesteigerten Abschäumung durch entfernte Bakterienflocken (Bakterioplankton) ist das Bakterienwachstum in diesen Becken auch nachweisbar. Die Frage ist nur, welche Stickstoffquellen außer Nitrat in diesem Fall genutzt werden?

Prinzipiell gibt es im Aquarium verschiedene Stickstoffquellen, sowohl anorganischer Natur (Ammonium, Nitrit, Nitrat), als auch organischer Natur (Aminosäuren, Aminozucker). Für Bakterien gilt wie für Pflanzen, dass Ammonium aufgrund des darin enthaltenen reduzierten Stickstoffs für die Aminosäure- und Proteinproduktion dem Nitrat-Anion aus energetischen Gründen bevorzugt wird. Im Nitrat-Anion ist der Stickstoff oxidiert, d.h. Nitrat muss von den Bakterien und Pflanzen zuerst energieaufwändig zu Ammonium reduziert werden, bevor es in die Aminosäuresynthese eingeschleust werden kann. Es kann also der Fall gegeben sein, dass die Bakterien nicht Nitrat verbrauchen, sondern Ammonium, welches in der Regel in eingefahrenen Aquarien nicht gemessen wird. Fische geben Ammonium über die Kiemen konstant ans Wasser ab, d.h. in jedem Aquarium mit Fischbesatz wird Ammonium ständig nachgeführt. Ist dies der Fall, bleibt der Nitratgehalt unverändert, nur Ammonium wird aus dem Wasser entzogen, und es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen dem Stickstoff- und Phosphorgehalt im Wasser. Bleibt die Denitrifikationsrate von der Ethanoldosierung unbeeinflusst (z.B. wenn der dosierte Alkohol nicht in die anoxischen Zonen gelangt, und vorher von aeroben heterotrophen Bakterien verbraucht wird), wird der Nitratgehalt auch nicht sinken.

Eine weitere Möglichkeit ist die, dass im Aquarium vorhandenes organisches Material in Form von Futterresten, Detritus, oder abgestorbenen Algen- und Tierresten von Bakterien besiedelt wird. Die Bakterien zersetzen dabei dieses organische Material und beziehen daraus die für ihr Wachstum wichtigen Stickstoff- und Phosphorverbindungen. Je nachdem, wie dieses organische Material chemisch zusammengesetzt ist, kann man sich vorstellen, dass die Bakterien Phosphat aus dem Wasser entnehmen, Stickstoff jedoch aus dem organischen Material, auf dem sie wachsen. Auch diese Möglichkeit kann als Erklärung für dieses Phänomen herangezogen werden.

Ausmaß der Biomasseproduktion

Es wurden Fälle geschildert, in denen das Wachstum der Bakterien so enorm war, dass sich auf den Scheiben und in den Druckrohren dicke Bakterienbeläge entwickelt haben, die zum einen optisch äußerst lästig sind, zum anderen aber die Strömungsgeschwindigkeit in den Rohren herabsetzen. Letzteres führt dazu, dass die Pumpenleistung drastisch zurückgeht, und die Rohre daher regelmäßig gereinigt werden müssen, was in den meisten Fällen aber unmöglich ist. Berichten zufolge war die Entwicklung von Bakterienbelägen auf den Lebenden Steinen oder dem Bodengrund dann vermeidbar, wenn die Strömung im Aquarium durch stärkere oder zusätzliche Pumpen erhöht wurde (Robert Baur, pers. Mittlg.). Andererseits berichtet ein befreundeter Aquarianer, Erwin Kerkenberg, dass die Entwicklung von Bakterienrasen an den Aquarienscheiben bei starker Strömung deutlich schneller erfolgte, bzw. an wenig beströmten Scheiben ganz ausblieb. Dies geht auch mit der Beobachtung einher, dass die Bakterienrasen vornehmlich in den Druckrohren entstehen.

Hält man sich die Entwicklung von Biofilmen vor Augen, dann entsteht bei zunehmender Dicke des Biofilms in den unteren Regionen sowohl ein Sauerstoff-, als auch ein Nährstoffmangel, denn die sich an der Oberfläche des Biofilms entwickelnden Bakterien ziehen den Sauerstoff und die Nährstoffe schnell aus dem Wasser heraus. Dazu kommt, dass die Strömungsgeschwindigkeit im Biofilm graduell von Außen nach Innen stark abnimmt, so dass der Transport von sauerstoff- und nährstoffreichem Wasser in den Biofilm stark eingeschränkt ist. Dort, wo die Strömungsgeschwindigkeit hoch genug ist, kann nährstoffreiches Wasser in die Biofilme eindringen, und damit auch die Bakterien versorgen, die sich im Inneren des Bakterienrasens befinden. Dadurch wird der Bakterienrasen auch an Dicke zunehmen, denn die Bakterien im Inneren bleiben potentiell länger am Leben. Dagegen sterben in Biofilmen, die an strömungsschwachen Regionen wachsen, die Bakterien im Inneren ab, und somit ist der gesamte Biofilm eine Mischung aus toten und lebendigen Zellen. Diese instabilen Biofilme können leichter abreißen, bzw. werden nicht so dick wie solche, die durchweg lebendig sind. Auch dies ist lediglich der Versuch einer Erklärung, nicht mehr.

Wieso ist aber in einigen wenigen Aquarien die Produktion von Bakterienrasen extrem hoch, in anderen jedoch sehr niedrig bis kaum wahrnehmbar? Entscheidend ist unserer Ansicht nach zunächst einmal das Ausmaß der Fisch- und Wirbellosenfütterung. Gerade in Aquarien, die einen hohen Eintrag von Staub- und Fischfutter aufweisen, stehen den heterotrophen Bakterien eine beinahe unerschöpfliche Nährstoffquelle zur Verfügung. Die Nährstoffe Nitrat und Phosphat werden sofort in Biomasse eingebaut, vorausgesetzt, die Bakterien erhalten genügend Kohlenstoff in Form von Ethanol. Dadurch bleiben die anorganischen Nährstoffe Nitrat und Phosphat im Wasser gering konzentriert, aber die Biofilme wuchern regelrecht. Wenn dann unterdimensionierte oder ineffektiv arbeitende Eiweißabschäumer verwendet werden, können die ins Wasser ausgeschwemmten Bakterien nicht ausreichend entfernt werden, und setzten sich dann wieder im Aquarium ab.

Ein anderer wichtiger Punkt betrifft die Zusammensetzung der Bakterienbeläge. Die Ethanoldosierung wirkt unspezifisch auf die Bakterienflora, denn Ethanol ist eine universelle, leicht nutzbare Kohlenstoffquelle, die potentiell von jedem heterotrophen Bakterium genutzt werden kann. Es ist uns dabei nicht möglich, die Bakterien zu identifizieren. Lediglich mikroskopische Untersuchungen von Bakterienbelägen können einen Hinweis geben, um welche Bakterien es sich handeln könnte. Die von uns untersuchten Bakterienbeläge zeigten eine filamentöse (fadenförmige) Struktur. Viele Bakterien liegen nicht als Einzelzellen vor, sondern bleiben nach der Zellteilung in einem Verband. Wenn sich die Teilungsebene in den Zellen nicht ändert, entstehen Zellfäden von mehreren Hundert bis Tausend Bakterienzellen. Die Vielfalt mariner Bakterien ist schier unendlich, und zudem nur zu einem Bruchteil bekannt. Auch ist die Anzahl bekannter filamentöser Bakterien nicht gerade gering, so dass die Bestimmung der Bakterien sehr schwierig ist. Ausgehend von der Annahme, dass sich Riffaquarien in ihrer Bakterienzusammensetzung stark unterscheiden, sind von der extremen Bakterienrasenbildung möglicherweise nur die Aquarien betroffen, die solche filamentösen Bakterien enthalten. Andere Bakterien, die nicht fadenförmig wachsen, sondern einen lockeren Zellverband aus wenigen, nicht verfestigten Zellen bilden, können bei entsprechendem Wachstum daher leichter vom Substrat entfernt und effektiver abgeschäumt werden.

Bakterioplankton vs. Bakterienbeläge

Schon im ersten Teil dieses Artikels wurde das Thema Bakterienblüten behandelt. Der Begriff bezeichnet äquivalent zu den bekannten Phytoplanktonblüten den Zustand einer starken Wassertrübung, bedingt durch die starke Vermehrung von im freien Wasser vorhandenen Bakterien (Bakterioplankton). Eine solche Bakterienblüte kann durch eine Überdosierung von Ethanol in Kombination mit erhöhten Nährstoffgehalten (Nitrat, Phosphat) entstehen.

Ist im ersten Teil des Artikels von unserer Seite zunächst angenommen worden, dass solche Blüten potentiell gefährlich, und daher durch eine kontrollierte Wodkadosierung unbedingt zu vermeiden sind, wurde seit Erscheinen des Artikels kein Fall geschildert, in dem Bakterienblüten im Wasser ernsthafte Probleme verursacht haben.

Einige Aquarianer haben z.B. im www.meerwasserforum.com von Bakterienblüten berichtet, dies jedoch mit den bereits diskutierten Bakterienbelägen verwechselt, weshalb wir an dieser Stelle zwischen Bakterioplanktonblüten und Bakterienbelägen differenzieren möchten. Insgesamt scheint das Auftreten von Bakterioplanktonblüten nicht sehr häufig zu sein, obwohl die vor der Publikation herangezogenen Testbecken dieses Phänomen nicht selten im Rahmen einer Wodkaüberdosierung zeigten. Eine erhöhte Bakteriendichte (Gesamtkeimzahl) im Aquariumwasser ist für die Wodkamethode allerdings charakteristisch. Bestes Indiz ist eine gesteigerte Abschäumleistung, aber auch ein besseres Polypenbild bei den Korallen, denn Letztere können dass Bakterioplankton (wie in der Natur) als Nahrungsquelle nutzen.

Frank Diehl berichtet in einem Artikel auf www.korallenriff.de, dass seine Gorgonien bereits zu Beginn der Wodkadosierung stark verschleimten, d.h. die Bakteriendichte im Wasser macht es insbesondere diesen Korallen schwer, sich von den Bakterien zu befreien. Demgegenüber zeigen die azooxanthellaten Korallen von Aquarianern wie Dr. Jens Kallmeyer oder Sabine Mülder keinerlei dieser Anzeichen. Der Schlüssel ist hierbei die Bakterioplanktonproduktionsrate, welche wiederum von vielen verschiedenen Faktoren (Wodkadosis, Fütterungen, Ausmaß der Mulmansammlungen, etc.) abhängig und somit in jedem Aquarium individuell verschieden ist.

 

Bakterioplanktonblüten sind durch das trübe Wasser für den Aquarianer erkennbar, so dass jeder Pfleger sofort mit Gegenmaßnahmen reagiert, z.B. mit dem Einsatz neuer Aktivkohle, Steigerung der Abschäumrate, zusätzliche Belüftung, und ggf. Einsatz von Ozon. Dadurch werden sicherlich größere Probleme vermieden, die potentiell entstehen können, wenn man z.B. im Urlaub keine Kontrolle über das Becken hat. Wenn eine Bakterioplanktonblüte unfreiwillig entsteht, sollte mit den genannten Gegenmaßnahmen reagiert werden, ansonsten gilt auch in diesem zweiten Artikel: die Ethanoldosierung muss so langsam und kontrolliert erfolgen, dass Bakterioplanktonblüten gar nicht erst entstehen können.