Pilzkorallen

Zur Vermehrung von Fungiidae in "Legebatterien”

Text und Fotos: Michael Mrutzek

Pilzkorallen der Familie Fungiidae vermehren sich unter anderem durch Anthocauli (von anthos, gr. Blume, Blüte und kaulos, gr. = Stiel, Stengel).  Dies sind stielartige Auswüchse, die aus dem Elterntier, meistens nach dessen Schädigung, herauswachsen. In einer bestimmten Größe brechen die Jungtiere vom Stiel ab und gehen dann zur Lebensweise der Elterntiere über.  Aus dem zurückgebliebenen Stiel kann anschließend eine neue Pilzkoralle herauswachsen. Diese Art der Vermehrung konnte schon des öfteren im Aquarium beobachtet werden und wurde auch schon in diesem Magazin publiziert.  Neu aber ist, daß man sehr junge Pilzkorallen künstlich derartig manipulieren kann, daß sie als Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Nachkommen dienen. Damit ist ein weiterer Schritt in Richtung gezielter Nachzucht von Wirbellosen für die Meerwasser-Aquaristik getan.

 

 

Seit nahezu acht Jahren besitze ich eine Pilzkoralle aus der Gattung Fungia, von der in diesem Artikel die Rede sein soll. Ich entdeckte sie damals auf einem kleinen Korallenast, der aus einem Import aus Singapur stammte. Anfangs galt mein Augenmerk jedoch nicht der Pilzkoralle, sondern den zahlreichen roten Scheibenanemonen, die den Korallenast besiedelten. Ich wußte sofort, wo dieser kleine, aber nichtsdestotrotz herrliche Stein plaziert werden sollte. Nach langsamer Umgewöhnung bohrte ich das Ende des Korallenastes in ein Loch eines lebenden Steines. Damit sich die Scheibenanemonen voll entfalten konnten, hatte ich eine Stelle gewählt, an der die Strömung nicht zu stark war. Wie sich nach einigen Tagen herausstellte, war dies mein Glück.  Denn nur wenig später entdeckte ich an der Unterseite des Korallenastes eine winzige, kaum wahrnehmbare leicht grünliche Stelle, die eine Größe von höchstens 3 mm aufwies. Diese Stelle hatte ich nur entdeckt, da die Scheibenanemonen aufgrund der Strömung leicht nach oben gedrückt worden waren. Als ich den grünlichen Fleck mit Hilfe einer Lupe genauer untersuchte, staunte ich nicht schlecht, daß es sich um eine kleine Steinkoralle handelte.  Aufgrund ihrer geringen Größe war es für mich jedoch unmöglich, sie genauer zu bestimmen.

Da ich mich schon seit geraumer Zeit eher für Kleinigkeiten begeisterte, was zugegebenermaßen auch auf Platzgründe zurückzuführen war, war meine Entscheidung schnell gefallen.  Ich durchtrennte den Stein, so daß die kleine Neuentdeckung noch genug Substrat hatte, um sie an einer exponierten Stelle in meinem Aquarium unterzubringen.

Etwa vier Wochen später konnte ich erahnen, um was es sich handeln könnte: eine Pilzkoralle Fungia sp.  Nach einem halben Jahr hatte sich die anfangs nur wenige Millimeter große Koralle zu einer fast markstückgroßen Fungia gemausert.  Weitere Monate vergingen, in denen sich ihr Teller immer mehr ausbreitete.  Eines Abends war die Stelle, an der ich die Pilzkoralle plaziert hatte, jedoch leer. Sofort begann hektisches Treiben vor dem Aquarium: Pullover aus, T-Shirt nach oben krempeln, Handtuch suchen, die Taschenlampe aus der Schublade holen und ab ging es, die Fungia zu suchen. Nur war die ganze Hektik gar nicht nötig, denn die Pilzkoralle lag in voller Pracht auf dem Bodengrund meines Aquariums. Das Basisstück, an dem sie festgewachsen war, befand sich noch an dem angestammten Platz.  Ich war in diesem Moment hin und her gerissen.  Einerseits war ich froh, die Pilzkoralle bei bester Gesundheit auf dem Boden gefunden zu haben, andererseits aber auch traurig, daß sie nicht mehr auf der Basis festgewachsen war.

Ich wußte zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht, daß hiermit meine erste Pilzkorallen-"Legebatterie" geboren war

Bei genauerer Untersuchung des Korallenastes konnte man deutlich erkennen, daß sich eine Matrix über den Korallenast gezogen hatte und daß an dem Platz, an dem die Fungia gesessen hatte, eine Bruchstelle vorhanden war.  Die Bruchstelle war innerhalb einiger Tage wieder von einer dünnen Haut überzogen und nur wenige Wochen später konnte man die ersten neuen kleinen Fangarme erkennen.  Diese Entdeckung war vielleicht noch nichts Besonderes, aber die Tatsache, daß sich die übrige Matrix teilte und sich so kleine neue Kolonien bildeten, hatte ich nun wirklich nicht erwartet.

Über die Jahre hinweg spielte sich das geschilderte Szenario alle paar Monate von neuem ab.  Mittlerweile habe ich von diesem Mutterstock ca. 25 Ableger erzielen können.  Die meisten zogen alsbald zu befreundeten Aquarianern um und erfreuen sich dort bester Gesundheit.

Da meine "Legebatterie" nicht aufhörte, neue Pilzkorallen zu bilden, entschloß ich mich Mitte 1994, Versuche mit meiner Fungia zu unternehmen.

Ich wollte herausfinden, ob es möglich wäre, "Legebatterien" künstlich zu erzeugen

Im ersten Versuch habe ich kleinere Pilzkorallen auf einem speziell von mir vorbereiteten Stein festgebunden.  Dieser Stein wurde mit einem Schraubenzieher so modelliert, daß sich die Fungia optimal an ihn schmiegte und somit meiner Meinung nach beste Voraussetzungen hatte, festzuwachsen.  Aber nichts war - die Fungia wurde größer und größer, aber festwachsen wollte sie nicht. Einzig das Nylonband, mit dem ich sie fest gebunden hatte, wurde von der Koralle eingewachsen.

Beim zweiten Versuch ging ich einen Schritt weiter.  Ich nahm mir kurzerhand eine Eisensäge und teilte eine der Pilzkorallen genau in der Mitte durch, so daß die Mundscheibe halbiert wurde Danach wurde wiederum ein Stein so präpariert daß er genau an die Schnittfläche einer der beide Hälften paßte. Das Pilzkorallenfragment wurde mit einer Nylonschnur so fest wie eben möglich an den Stein gebunden, der an eine gut durchströmt Stelle in meinem Aquarium untergebracht wurde. Das Gegenstück der Pilzkoralle habe ich ebenfalls wieder ins Aquarium zurückgebracht, ohne es irgendwie zu bearbeiten. Beide Stücke wurden, bevor sie in das Becken zurückgesetzt wurden, fünf Minuten in einer PVP-Jod-Lösung (1 ml einer 10%igen Lösung auf 1 Ltr. Aquarienwasser) gebadet.

Nun ging das Warten los. Was würde passieren? Aufgrund von Publikationen wußte ich, daß verletzte Pilzkorallen schnell eingehen konnten aber genau das passierte nicht.  Die durch Stellen wurden innerhalb weniger Tage von Gewebe umwach-sen. Die Mundscheiben wurde generiert und die Hälfte, die nicht festgebunden war, ist heute wieder eine runde Scheibe, zwar etwas unförmig aber dennoch rund.  Die festgebundene Fungia wuchs jedoch nur von der Seite weiter, die nicht an dem Stein fixiert worden war. Das Nylonband wurde, wie beim ersten Versuch, eingewachsen, aber festgewachsen ist auch diese Pilzkoralle nicht.

Einige Wochen vergingen, dann war es wieder soweit.  "Putz doch mal wieder deine Scheiben, man kann ja kaum noch reingucken!", sagte meine Frau.  Widerwillig nahm ich mir Bürste, Klingenreiniger und Handtuch zur Hand. Putzen der Aquarienscheiben ist nun wirklich nicht mein Ding, denn fast immer passiert irgendwas.  Einmal etwas unvorsichtig und schon hat man wieder unfreiwillig einen kleinen Ableger einer Acropora oder Pocillopora. Auch diesmal war es nicht anders.  Mit dem Ende der Bürste kam ich an meine kleine "Legebatterie" und sofort brach eine noch sehr kleine Pilzkoralle ab. Im ersten Moment ärgerte ich mich verständlicherweise, aber was ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, war, daß ich mit dieser Mini Pilzkoralle genau das erreicht hatte, was ich immer wollte: meine erste künstliche "Legebatterie".

junge Fungia wachsen anfangs stielig aus der Mutterkolonie heraus (Stichwort "Anthocauli"), bevor sie anfangen einen Teller auszubilden.  Bei meiner abgebrochenen Fungia hatte ich diesen Stiel ebenfalls mit abgebrochen.  Ich bohrte daraufhin mit einem 3 mm Bohrer ein Loch in einen kleinen Stein und ließ die PiIzkoralle dort hineinfallen.  Die ganze Aktion hatte sehr viel Ähnlichkeit mit den Geduldsspielen, bei denen man kleine Kugeln in vorgesehene Löcher hinein balancieren muß. Aus Angst, die kleine Fungia zu verlieren Schnecken oder andere Tiere stoßen durchaus einmal kleinere Steine um - entschloß ich mich, den Stein mit der Fungia in einen Ablaichkasten zu legen, um ihn dort die nächsten Wochen beobachten zu können.  Es war schon erstaunlich, denn innerhalb nur einer Woche war die kleine "Miniatur" Fungia angewachsen und ich konnte sie zurück in das Aquarium geben.  Mittlerweile habe ich von dieser "künstlichen Legebatterie" die ersten Ableger erhalten. Mitte 1995 habe ich von Dr. Brockmann einen kleinen Ableger einer anderen Fungia-Art erhalten.  Bei einem Besuch in Ulm hatte er zwei juvenile Pilzkorallen von A. Zöllner erhalten, der diese Fungia-Art sehr erfolgreich nachzüchtet. Dr. Brockmann hatte beide Ableger auf dem Bodengrund seines Aquariums untergebracht. Nachdem er mir einen der beiden Ableger eingepackt hatte, lag die verbliebene Pilzkoralle so günstig, daß ich erkennen konnte, daß sie an einem Stück des Korallenbruchs angewachsen war. Wieder Zuhause, ging ich sofort an die Arbeit und präparierte meinen kleinen Ableger genau so,wie weiter oben beschrieben.  Auch diesmal glückte der Versuch und vor geraumer Zeit ist die erste Fungia von dem festgewachsenen Stiel abgefallen.  Die Basis hat sich bereits wieder geschlossen und ich hoffe, nun auch von dieser Art in den kommenden Jahren viele Ableger heranzüchten zu können.

Die Effektivität der von mir beschriebenen Vermehrungsmethode schwankt jedoch. Bei Heliofungia actiniformis ist beim ersten Versuch nur ein Ableger herangewachsen, beim zweiten jedoch schon vier. Die Gründe für die schwankende Effektivität sind noch nicht ganz klar.  Ein entscheidender Parameter könnte die Wasserbeschaffenheit während der Anwachsphase sein. Fehlen zu dieser Zeit Spurenelemente oder ist die Wasserbelastung zu hoch, scheint es nicht zum Ausbreiten der Matrix über den Stein zu kommen. Auch könnte das Alter der Anthocauli, die zum Anwachsen benutzt werden, eine entscheidende Rolle spielen. Die Größe der Aquarienanlage ist meiner Meinung nach von untergeordneter Bedeutung. Auch das Licht muß nicht immer HQI sein, da ich die gleichen Versuche auch in einem Aquarium unter Beleuchtung mit Leuchtstofflampen erfolgreich durchgeführt habe.