Massenablaichen

in einem norwegischen Korallenriff-Aquarium

Text und Fotos: Alf Jacob Nilsen

Früher oder später pflanzen sich alle Organismen geschlechtlich fort. Durch Vererbung ihres Genmaterials können die einzelnen Arten überleben und sich weiter entwickeln. Die geschlechtliche Vermehrung von Korallen ist sehr komplex, facettenreich und uns in ihrer Gesamtheit noch lange nicht bekannt. In HARRISON & WALLACE (1990) ist eine gute Übersicht auf wissenschaftlicher Basis enthalten, während FOSSA & NILSEN (1995) die Vermehrung von Korallen populärwissenschaftlich behandeln.

 

Diese Bohrende Riesenmuschei, Tridacna crocea, laichte im Korallenriff-Aquarium von Marko Haaga in Tampere, Finnland, zusammen mit einer großen Acropora-Art, vermutlich Acropora latistella, im September 1997 Eier ab. Foto: M. Haaga

Korallen können getrenntgeschlechtlich oder Hermaphroditen sein und Sperma und Eier gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeiten abgeben. Viele Korallen setzen Sperma und Eier in "Paketen" ab, die allgemein als Ei-Sperma-Bündel bezeichnet werden. Die Befruchtung der Eier kann im umgebenden Wasser stattfinden oder aber auch im Inneren einer Kolonie. Befruchtete Eier entwickeln sich zu winzigen Planula-Larven, die sich normalerweise nach wenigen Stunden oder Tagen auf einem Substrat ansiedeln, in wenigen Fällen kann das auch Wochen dauern. Einige Arten erbrüten die Larven auch innerhalb der Mutterkolonie. Sie werden Brüter genannt.

Vielleicht ist es das sensationellste Ereignis in einem Korallenriff, wenn sehr viele Korallen gleichzeitig ablaichen und ihre Ei-Sperma-Bündel zusammen entlassen, was zu einem Unterwasserinferno von Gameten führt, das allgemein als "Massenablaichen" bezeichnet wird. WILLIs et al. (1985) definieren das Massenablaichen so (übersetzt aus dem Englischen): "Massenablaichen ist das synchrone Entlassen von Gameten vieler Korallenarten an einem Abend zwischen Dämmerung und Mitternacht." Die ansteigende Wassertemperatur im späten Frühjahr oder Frühsommer in Verbindung mit dem Mondlicht löst jährlich das Massenablaichen an einem ganz bestimmten Abend aus. Das Ereignis kann präzise vorausgesagt werden und wird von Biologen jährlich beobachtet und ausgewertet.

Massenablaichen ist schon länger vom Großen Barriereriff gut bekannt, aber auch von einigen anderen Plätzen im Indo-Pazifik, wie von WestausPhilippinen und Okinawa. Dort allerdas Massenablaichen keinem so konten Rhythmus wie im Großen Barriereriff. kürzlich wurde auch ein Massenablaichen bei Malediven beobachtet (LOCH & LOCH,1997).

in Korallenriff-Aquarien konnte eine geschlechtliche Vermehrung von Meeresfischen schon oft beobachtet und erfolgreich erzielt werden. Seit Jahren werden Anemonenfische nachgezüchtet, während andere Fische, wie z. B. der zur Zeit sehr populäre Pterapogon kauderni, erst in jüngster Zeit erfolgreich nachgezogen werden konnten (GROBE, 1996). Andere wiederum, wie die Herzogfische der Gattung Centropyge, haben zwar schon oft im Aquarium abgelaicht, jedoch konnte die Brut bisher nicht erfolgreich aufgezogen werden. Von Borstenwürmern, Schnecken und letztlich auch Riesenmuscheln der Gattung Tridacna ist bekannt, daß sie schon häufig ihre Geschlechtsprodul"te im Korallenriff-Aquarium abgesetzt haben. Getrenntgeschlechtliche Korallen, wie z. B. Angehörige der Familie Fungiidae und der Gattung Euphyllia, haben ebenfalls schon oft im Aquarium abgelaicht. Von Pocillopora damicornis und P. verrucosa, den wohl am besten untersuchten und in Korallenriff-Aquarien häufig gepflegten Steinkorallen, wurde berichtet, daß sie regelmäßig im Aquarium ablaichten und Planula-Larven hervorbrachten (TYREE, 1994). Junge Kolonien entstanden auf allerlei Substraten im Aquarium. Ob diese Nachkommen das Ergebnis ungeschlechtlich produzierter Planula-Larven, einer Polypenausbürgerung oder einer "echten" geschlechtlichen Vermehrung waren, konnte nicht eindeutig festgestellt werden. Möglicherweise- erfolgten in den verschiedenen Aquarien alle drei Vermehrungsarten dieser leicht zu pflegenden Steinkorallen.Es gibt einige wenige Berichte darüber, daß mehrere Tierarten gleichzeitig in Aquarien ablaichten. Flemming jörgensen, Larvik, Norwegen, beobachtete und fotografierte im Juli 1994 ein Massenablaichen in seinem Korallenriff-Aquarium (siehe FOSSÄ & NILSEN, 1995 und NILSEN, 1996). Der Finne Marko Haaga berichtete mir im Oktober 1997, daß in seinem Korallenriff-Aquarium eine Acropora-Art, möglicherweise A. latistella, und eine Tridacna crocea gleichzeitig abgelaicht haben).

Am 19. Dezember 1997 erfolgte im KorallenriffAquarium von Leif Lindström, Stavanger, Norwegen, ein Massenablaichen von Korallen und anderen Wirbellosen. Nachfolgend das Ereignis im einzelnen.

 

Beschreibung des Aquariums

Das Aquarium, das zum Zeitpunktdes Ereignisses seit etwa fünfeinhalb Jahren betrieben wurde, hat die Maße von 240 x 65 x 80 cm (L x B x H), was ein Volumen von rund 1250 l ergibt. Mit der Filterkammer, die ebenfalls ein Volumen von 1250 1 hat, ergibt sich ein Gesamtvolumen der Aquarienanlage von 2500 l. Zur Dekoration wurden 400 kg lebende Steine eingesetzt. Das Wasser wird über zwei selbst gebaute Abschäumer mit einem Durchfluß von jeweils 2140 l/h gefiltert. Täglich werden 12-15 l Kalkwasser zugeführt. Die Beleuchtung erfolgt mit 2 x 250 W 20 000 K "Radium Blue" und 3 x 150 W 10 000 K " Arkadia "; außer- dem 4 x 40 W Philips TLO3 "aktinisch-blau". Beleuchtet wird durchschnittlich 12 Stunden täglich. Die üblichen Wasserparameter sind: pH 8,45; 'dKH 8-9; T 25-26 'C; Salzgehalt 35 %.; Ca" ca. 400 mg/l; PO, und NO- ungefähr 0 mg/l. Gepflegt werden etwa 75 Steinkorallenkolonien, u. a. viele Acropora-Arten, und große Weichkorallen der Gattungen Sarcophyton, Sinularia und Cladiella. Etwa 20 Fische bevölkern das Aquarium (weitere Einzelheiten siehe FossÄ & NILSEN, 1998).

Das Massenablaichen

Vor dem Ablaichen wurde ein großer Wasserwechsel von 2500 l mit neuem künstlichen Meerwasser, aufbereitet mit dem Meersalz "lnstant Ocean", über einen Zeitraum von vier Wochen vorgenommen, wobei der Wechsel in regelmäßigen Intervallen durchgeführt wurde, letztmalig am 7. Dezember 1997 In der Nacht zum 19. Dezember um 1.30 Uhr stellte L. Lindström fest, daß die Abschäumer ihren"Dienst" versagten. Es wurde kein

Schaum mehr produziert, sondern nur große Blasen, so als würde Süßwasser durchströmen. Das Licht wurde eingeschaltet. L. Lindström beobachtete, daß fünf große Sinularia-Kolonien Eier und Sperma abgaben. Eine Sarcophyton-Kolonie und eine große Herpolitha limax setzten Eier und eine rot-schwarz gefärbte Seegurke gab Sperma ab. Außerdem beteiligten sich etwa 50 Turbo Schnecken an dieser"Ablaichorgie".

Das Ablaichen dauerte etwa drei Stunden an.

Das Aquarium sah aus, als hätte man 10 l Milch hineingegossen. Die Fische taten sich am Laich gütlich, allerdings begann morgens ein Fischsterben. Sofort wurde ein Wasserwechsel von 500 l vorgenommen, am 11. Dezember nochmals 500 l, und eine Filterung über Alktivkohle eingeleitet. Am 12. Dezember schien das Aquarium wieder normal zu funktionieren. Die Abschäumer begannen wieder mit ihrer Arbeit. Es hatte anfangs so ausgesehen, als würden alle Fische eingehen, jedoch überlebten etwa 50 % und erholten sich wieder. Den Korallen hatte das Massenablaichen offensichtlich nicht geschadet.

    Kommentar

Meiner Meinung nach hat der sich über vier Wochen erstreckende große Wasserwechsel das Massenablaichen ausgelöst. Die Korallen, die ablaichten, müssen im Aquarium geschlechtsreif geworden sein. Viele der Weichkorallen und auch die Herpolitha limax befanden sich nämlich schon mehrere Jahre im Aquarium. Sie waren als kleine, geschlechtsreife Kolonien eingesetzt sich die Steinkorallen am Ablaichen en, mag darauf zurückzuführen sein,erst ein bis zwei Jahre im Aquarium befanden und wohl noch nicht geschlechtsreif waren.

Obwohl ein Massenablaichen in einem Korallenriff-Aquarium ein äußerst interessantes Ereignis ist, kann es jedoch dramatische Folgen haben. Allerdings kann Korallenlaich nicht nur im Aquarium ein Fischsterben auslösen.

 

BOROWITZKA (1997) berichtet über ein Fischsterben in den Riffen von West Pilbara, Westaustralien, das er auf Sauerstoffmangel zurückführt. Er schreibt u. a. (aus dem Englischen übersetzt): "Dieses Szenario ... ist ein natürliches Ereignis, das periodisch in den Riffen von West Pilbara auftreten kann. ... Das ist ein negativer Effelkt eines Korallenablaichens."

Ein Ziel der Riffaquaristik sollte sein, das Miniriff im Wohnzimmer so naturgemäß wie möglichzu gestalten.Persönlich sind mir Massenablaichenin Aquarien willkommene Ereignisse, auch wenn dadurch Fische umkommen können.Ich sehe es gerne, wenn Korallen im Aquarium geschlechtsreif werden, und würde sehr erfreut sein, wenn sich Panula-Larven aus befruchteten Eiern entwickeln würden.Allerdings weiß ich auch, daß viele Aquarianer, das Ereignis eines Massenablaichen in ihrem Aquarium nicht haben wollen. Warum nur fürchten oder ekeln sich viele vor Krabben oder Würmern? Ich stimme zwar zu, daß bestimmte Organismen nahezu ein gesamtes Korallenriff- Aquarien ruinieren können, wie z. B. unkontrolliertes Wachstum von Schmieralgen, Fadenalgen oder Glasrosen. Aber es sind nicht viele. Wir sollten ein Aquarium sich zu einem vielfältigen System entwickeln lassen und die Aussagen "gefährliche" oder "schädliche" Organismen vermeiden.

Wir sollten die Korallen in unseren Aquarien bis zur Geschlechtsreife kommen und sie ablaichen lassen. Darüber sollte in Wort und Bild berichtet werden. Auch sollten wir bestimmte Aquarianer dazu ermutigen, Korallen nachzuzüchten, nicht nur durch Fragmentation oder andere asexuelle Vermehrungsmethoden, sondern auch geschlechtlich, so daß sich der natürliche Lebenszyklus der Korallen auch im Aquarium nachvollzieht.